Tuskonia
Es bedarf wahrlich keiner Gehirnakrobatik, um zu folgender Erkenntnis
zu gelangen:
Tritt man eine Fahrt just zu dem Zeitpunkt an, zu dem man eigentlich
den Zielort erreichen sollte, kommt man zu spät. Handelt es
sich dabei um eine Fahrt von Freiburg nach München an einem
Freitagnachmittag, so ist mit einem Zuspätkommen von gut 6
Stunden zu rechnen.
Es war im Spätsommer 1994 als die Refrigerators zu einem Doppelkonzert
nach München aufbrachen. Die zu dieser Zeit in München
wohnenden Patrick und Matthias begrüßten bereits am frühen
Nachmittag den eigens aus Grenoble eingeflogenen Stoffel. Es sei
erwähnt, dass es 1994 noch keine Billigflieger gab. Der Flug
war also schweineteuer. Doch für die Kunst war den Refrigerators
nichts zu teuer. Außerdem stand eine recht
ordentliche Gage in Aussicht.
Man begrüßte sich, tauschte die üblichen Nettigkeiten
aus und genoß das Dolce Vita in der bayrischen Metropole.
Gegen 16.30 Uhr machten sich die drei auf den Weg, um pünktlich
um 17.00 Uhr am vereinbarten Treffpunkt den aus Freiburg anreisenden
Rest zu treffen. Was die drei zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußten
war, dass die Kollegen noch keinen Meter in Richtung München
zurückgelegt hatten.
Als Außenstehender mag man sich fragen, wie es zu solch einer
Verzögerung kommen konnte. Wir wollen uns die Details ersparen,
um beim Verfasser dieses Textes keinen Schreikrampf auszulösen.
Nur soviel: Es hatte etwas mit vergessenen Anzügen, einem abgebrochenen
Schlüssel und einer Katze, die sich unpäßlich fühlte
zu tun.
Um es vorweg zu nehmen. Die Freiburger Fraktion traf um 1.00 Uhr
Nachts am Auftrittsort ein. Schlappe 7 Stunden Verspätung,
wovon eine auf ein ausgiebige Pause im Burgerparadies Burgau an
der A 8 zurückzuführen ist. Denn Verspätung hin,
Verspätung her. Burger King muss sein. Und zwar die gesamte
Perfomance. Also kein Take - away und weiterfahren. Nein, reinsitzen
und genießen.
Die drei in München wartenden Refrigerators machten sich zunächst
keine Sorgen ob der nicht eintreffenden Kollegen. Die Klügsten
unter den Bandmitgliedern hatten vor einiger Zeit eine Karenzzeit
bei der Planung der Fahrtzeit gefordert und durchgesetzt.
Mit einer Ankunft vor 18.00 Uhr hatte im Ernst keiner gerechnet.
Wären sie um 19.00 Uhr eingetroffen, wären alle zufrieden
und glücklich gewesen. Als um 20.00 Uhr immer noch niemand
zu sehen war, wurden erste Zeichen von Nervosität sichtbar.
Zumal auch die Veranstalter mit zunehmender Frequenz nachfragten.
Der Veranstalter war eine Studentenverbindung. Und zwar die Tuskonia.
Farben tragend und schlagend. Um das ganze Szenario noch plastischer
zu machen, sei ein kurzer Expos in die Welt der Studentenverbindung
gestattet.
Mitglieder schlagender Studentenverbindungen sind recht humorlose
Gesellen, die den Wert einer echten Männerfreundschaft noch
zu schätzen wissen. Sie sind immer männlich und denken
streng hierarchisch. In ihrem Weltbild sind die Frauen irgendwo
zwischen Goldhamstern und Arbeitseseln angesiedelt. Außerdem
fügen sie sich mit Schwertern gegenseitig häßliche
Narben (Schmisse) im Gesicht zu. Das tun sie, weil sie sich dadurch
besser auf die Unwegsamkeiten des Lebens vorbereitet fühlen.
Bei ihren Saufgelagen gibt es seltsame Regeln. Zum Beispiel darf
man als gemeines Mitglied erst dann auf die Toilette, wenn der Obersäbler
zum ersten Mal seine Blase entleert hat. Wer nicht mehr kann läßt
es eben auf dem Stuhl laufen. Das ist leider kein Witz.
Die Refrigerators sind da aus ganz anderem Holz geschnitzt. Bei
Ihnen ist es oberste Pflicht die Toiletten aufzusuchen, wenn es
nötig ist. Es ist verboten, in den Proberaum zu pinkeln. Wir
schlagen uns auch nicht. Jedenfalls nicht bandintern. Außerdem
wissen wir, dass Frauen die besseren Menschen sind und wir tun meistens,
was sie uns sagen.
Wir waren also viel zu spät. Es sind zwei Welten aufeinander
getroffen. Und unsere Zuhörer (Wir haben tatsächlich noch
gespielt) wurden von Patrick mit
"Liebe Tuskoladen, jetzt geht's los!"
begrüßt.
Mit dieser Art von Humor konnten die Verbunden leider überhaupt
nichts anfangen. Der letzte Rest an Sympathie war verspielt. Der
Auftritt war sehr kurz und nicht weiter erwähnenswert. Auf
der Aftershowparty der Band an der gut gefüllten Hausbar wäre
es fast zu Handgreiflichkeiten gekommen. Wir hätten es nicht
verdient, den teuren Whisky zu trinken.
Die Gage wurde uns ordentlich zusammen gestutzt, worüber wir
uns aber nicht ernsthaft beklagen konnten.
Es bestand ja noch die Chance mit dem zweiten Gig in München
die Kosten zu decken. Das Jugendzentrum in München - Vatterstetten
ist für jeden Jugendsozialarbeiter ein Traum. Keine sozialen
Brennpunkte im Stadtviertel, Kohle ohne Ende, zwei Bands, drei Jugendliche
am Getränkeverkauf, zwei an der Kasse, eine PA vom Feinsten
und Null Konzertbesucher.
Da wir in diesem Fall eine Eintrittsbeteiligung vereinbart hatten,
müssen wir niemandem unsere Gage an diesem Abend vorrechnen.
Das Münchener Doppelkonzert endete mit einem finanziellen
Desaster. Wir haben uns damals überlegt, ob das ein Wink des
Schicksals war. Vielleicht sollten wir besser aufhören, die
Welt mit unserer Musik zu beglücken.
Wir haben weiter gemacht. Wie wir finden zum Vorteil aller.
Hoch
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